Palliative Krebstherapien
von Lothar Hirneise
Das Wort palliativ leitet sich vom lateinischen palliare her was lindern bedeutet. Das „Gegenteil“ in der Onkologie ist der Begriff kurativ, welcher sich vom lateinischen curare herleitet, das heilen bedeutet. Diese beiden Begriffe und vor allem die unterschiedlichen Bedeutungen sind für Krebspatienten enorm wichtig und werden sehr häufig verwechselt. Regelmäßig geben mir Patienten Arztbriefe in welchen Sätze stehen wie: „in palliativer Absicht“ oder „Einleitung einer palliativer Therapie mit…“ usw. Wenn ich die Patienten dann frage, ob sie wissen, was damit gemeint ist, dann wissen in über 90 % aller Fälle die Patienten nicht, was diese Sätze bedeuten.
Hierfür gibt es sicherlich die unterschiedlichsten Begründungen, wie z. B. dass Patienten die Tatsachen verdrängen oder sich in psychischen Ausnahmesituationen befinden und deshalb nicht richtig zuhören oder lesen. Doch wenn ich das Ganze empirisch betrachte, dann gibt es hierfür vor allem einen Hauptgrund und der ist, dass Ärzte ihren Patienten die Bedeutung meistens nicht oder doch sehr unvollständig erklären. Über die einzelnen Gründe warum das Ärzte so handhaben, kann ich nur spekulieren, doch zwei Hauptgründe sind mir hierbei aufgefallen, die ich hier erklären möchte, weil ich diese für wirklich wichtig halte.
1. Zeitmangel
Gerade mal 7,6 Minuten verbringt ein Arzt in Krankenhaus mit einem Krebspatienten. Man muss sich das einmal vorstellen. 7 Minuten und 36 Sekunden um mit einem Patienten über etwas zu sprechen, worum es BEI DEM PATIENTEN um Leben und Tod geht. Wenn man bedenkt, dass heute jede Gerichtsverhandlung, bei der absolut lapidare Dinge verhandelt werden, länger dauert, dann muss es einen schon sehr traurig stimmen, was hier passiert in unserer Gesellschaft und was Patienten und Ärzte akzeptieren.
Ich bin der Meinung, dass hier nicht nur Patienten auf die Barrikaden gehen sollten, sondern auch Ärzte. Was sind das denn für Ärzte, die Patienten sozusagen im Vorübergehen aufklären? Haben diese Menschen wirklich den Beruf Arzt ergriffen, weil sie es lieben, Anderen zu helfen? Wo bleibt in 7 Minuten Zeit für Anteilnahme und Diskussionen? Warum demonstrieren Ärzte auf der Straße niemals dafür, dass hier endlich einmal etwas geändert werden muss? Ich könnte hier noch viele Argumente anbringen, was so alles schief läuft, aber ich denke Sie kennen die meisten davon schon selbst und wir sollten beide nicht unsere kostbare Lebenszeit damit verbringen zu jammern.
Stattdessen lassen Sie uns lieber anschauen, was Sie tun können.
1. Zuerst einmal machen Sie einen Termin aus und klären Sie VORHER, wie viel Zeit der Arzt hat. Bei allem Respekt für den Stress eines Arztes, aber hier geht es um Sie bzw. Ihre Familie und deshalb verlangen Sie ruhig etwas mehr Zeit. Sie haben das Recht hierzu.
2. Lassen Sie sich alles IN VERSTÄNDLICHER Sprache erklären. Und übrigens, es gibt hier keine dummen Fragen, sondern nur dumme Antworten.
3. Fragen Sie immer, welche Alternativen es gibt und wie der Arzt diese einschätzt. Es ist OK , wenn ein Arzt keine kennt, aber Sie müssen wissen, dass es IMMER Alternativen gibt.
4. Vergessen Sie nie, dass Ärzte heutzutage auch gute „Juristen“ sein müssen. Ein Arzt MUSS Ihnen oftmals aus juristischen Gründen oder weil er sich seine Karriere nicht zerstören will, ganz bestimmte Therapien empfehlen.
5. So hart es klingt, aber DIESES Arztgespräch ist nicht da um emotionale Dinge zu klären. Je rationaler Sie bei der Sache sind, desto besser für Sie und den Arzt.
6. An einer „üblichen“ Klinik werden grundsätzlich nur die „üblichen“ konventionellen Krebstherapien angewandt. Hier kennen sich die Ärzte aus und deshalb sollten sich Ihre Fragen auch darauf konzentrieren. Es nützt nichts mit diesen Ärzten über IAT oder Antineoplastone diskutieren zu wollen.
7. Sollten Sie das Gefühl haben, ein Arzt möchte Sie zu sehr „in eine Richtung“ pressen, dann akzeptieren Sie dies bitte und streiten Sie sich nicht. Fast jeder Arzt ist von dem überzeugt was er tut (warum auch immer) und es ist nicht Ihre Aufgabe, den Arzt von etwas anderem zu überzeugen. Sie werden sich vielleicht wundern, dass ausgerechnet ich so etwas schreibe, doch meine Erfahrungen mit Tausenden von Patienten zeigen mir, dass diese Überzeugungsarbeit an einer anderen Stelle geleistet werden muss und Patienten hier zu viele kostbare Zeit verschwenden. Wenn Sie einmal verstanden haben, dass Ärzte genauso belogen werden wie Patienten, dann können auch Sie Ärzte lieben, die voller Überzeugung das Falsche tun, weil sie nämlich ein gutes Herz haben – aber leider das falsche Wissen.
8. Viele Menschen glauben immer noch, dass sie zu Ärzten nett sein müssen, weil sie sonst Repressalien vom Arzt oder von Krankenkassen befürchten. Hierzu kann ich nur sagen: Es geht um Ihr Leben und nicht darum, einen Preis für den liebsten Patienten zu gewinnen.
2. Auseinandersetzung mit dem Tod aus dem Weg gehen
Ohne Zweifel haben viele Ärzte einen akuten Zeitmangel. Doch ich weiß, dass viele Ärzte dieses Problem gerne vorschieben, weil sie ganz einfach dem unangenehmen Gespräch aus dem Weg gehen wollen, ihrem Patienten sagen zu müssen, dass sie nichts mehr für ihn tun können. Stattdessen wird dann gesagt, dass man jetzt diese oder jene Therapie noch versuchen kann oder sollte, obwohl man weiß, dass die Überlebenschancen hier gleich null sind. Dies ist für mich nicht in Ordnung, denn ohne das offene Gespräch nimmt man dem Patienten die Chance sich zu entscheiden, ob man diese palliative Maßnahmen möchte oder nicht, denn der Patient glaubt ja fälschlicherweise immer noch, dass die empfohlene Therapie zur Heilung führen könnte.
Ich muss hier die Ärzteschaft einerseits angreifen und andererseits jedoch gleichzeitig in Schutz nehmen, denn überlegen Sie sich einmal, was die Alternative wäre. Es würde nämlich bedeuten, dass Ärzte ihren Patienten ehrlich sagen, dass sie mit den üblichen konventionellen Therapien nicht mehr helfen können. Und jetzt käme natürlich sofort von vielen Patienten die Frage: „Gibt es evtl. andere Therapien die mir helfen können?“
Spätestens jetzt würden viele Ärzte gleich mehreren Herausforderungen gegenüber stehen. Erstens kennen sie sich nicht mit alternativen Therapien nicht aus – woher auch – und müssten daher sagen, dass sie keine kennen. Doch welcher Arzt gibt so etwas schon gerne zu? Zweitens müssten Ärzte Themen wie Schmerzen, Tod, Sterben, Hospiz usw. ansprechen bzw. detailliert besprechen und jeder der so etwas schon einmal gemacht hat, weiß, wie lange solche Gespräche dauern und wie Energie raubend diese sind. Drittens und erschwerend kommt hinzu, dass die Umsatzzahlen vieler Chemotherapien, aber auch die Auslastung der Radiologie, sich in jedem Krankenhaus drastisch verkleinern würden und dies zu einem großen Druck auf Ärzte und Verwaltung führen würde. Dies mag sich unmenschlich und hart anhören, aber das ist nun mal eine Tatsache, ob uns dies gefällt oder nicht.
Was ist also zu tun?
Weichen Sie dem Wort palliativ nicht aus. Palliativ bedeutet nicht, dass hier ihr Todesurteil geschrieben wurde. Es heißt nur, dass wenn sie die üblichen Therapien machen, ihre Chance zu überleben fast gleich null ist – nicht mehr und nicht weniger. Palliative Therapien können bei wenigen Menschen jedoch durchaus lebensverlängernd sein und ich habe schon öfters den Satz ge- hört: „Wenn ich wenigstens noch 1-2 Jahre leben könnte, dann wäre ich schon zufrieden.“ Wenn das also ihr Ziel ist, dann finde ich eine palliative Therapie absolut in Ordnung und ich bewerte solche Entscheidungen grundsätzlich nicht nach den Kategorien richtig oder falsch. Für mich ist einfach nur wichtig, dass man einen Patienten vollständig und ehrlich darüber aufklärt, was man mit ihm vorhat und wie die Chancen laut offiziellen Statistiken liegen. Diese Forderung ist doch nicht zu viel verlangt und ich finde es teilweise menschenverachtend, dass genau das nicht stattfindet. Hiermit nimmt man einem Menschen die Chance selbst zu entscheiden, welchen Weg er gehen möchte.
Niemand kann Ihnen in einer „offiziellen palliativen Situation“ etwas versprechen, weder die konventionelle noch die unkonventionelle Medizin. Doch lassen Sie uns noch eine andere Sichtweise etwas näher betrachten. In der Regel bestehen palliative Therapien aus Chemotherapien und Bestrahlungen. Beide Therapien haben enorme Nebenwirkungen und jeder Mensch in dieser Situation muss sich natürlich überlegen, ob er all die Nebenwirkungen in Kauf nehmen möchte, in der Hoffnung durch diese Therapie etwas länger leben zu können. Oftmals ist es nämlich eine Milchmädchenrechnung, denn man lebt bestenfalls ein paar Tage oder Wochen länger, muss aber ein Großteil dieser Zeit im Krankenhaus verbringen. Wo ist also dann der wirkliche Zeitgewinn?
Schwerwiegender ist für mich jedoch, dass wenn Sie den konventionellen Weg einschlagen, Sie 100 % sterben werden und nicht nur 99 %. Der Vorteil liegt auf der Hand, sie leben evtl. etwas länger, doch der Nachteil ist, dass es auf diesem Weg keine Chance der Heilung mehr gibt. Ich hatte in den letzten Jahren das große Glück, vielen Menschen begegnen zu dürfen, die trotz negativer Prognose wieder gesund geworden sind. Es war kein Einziger dabei, der einen Chemotherapie / Bestrahlungsweg eingeschlagen hatte. Bis heute habe ich noch nie solch einen Menschen getroffen. Deshalb muss man sich sehr genau überlegen, ob man dazu bereit ist, die letzte Hoffnung auf eine eventuelle Heilung zugunsten einer Lebensverlängerung aufzugeben. Und weil es so wichtig ist, möchte ich es noch einmal betonen: Ich finde es absolut OK einen palliativen Weg zu gehen. Aber ich finde man sollte sich für diesen Weg bewusst entscheiden. Doch wie soll das gehen, wenn Ärzte ihre Patienten nicht aufklären?
Etwas anderes ist mir in den letzten Jahren ebenfalls aufgefallen. Firmen gehen mehr und mehr dazu über, orale Chemotherapien anzubieten (Z. B. Xeloda oder Ixoten) und bewerben dies mit weniger Nebenwirkungen und vor allem dem großen Zeitgewinn, weil die Patienten diese Therapien zu Hause machen können. Das macht zuerst einmal ja auch viel Sinn. Meine Erfahrung ist jedoch, dass orale Chemotherapien meistens bei Patienten in palliativen Situationen eingesetzt werden und fast allen Patienten, die ich kennen lernte, war genau dies nicht bewusst. Sollte Ihnen also eine orale Chemotherapie angeboten werden, dann klären Sie bitte Ihre Situation genau ab.
Wer sich mehr mit diesem Thema auseinandersetzen möchte, dem empfehlen wir nebenstehendes Buch.